Warum der Drang zu malen so unfassbar stark ist

Vielleicht kennst du das: Du sitzt in einem Gespräch, hörst zu, nickst – und trotzdem läuft in dir innerlich ein zweiter, dritter, vierter Film. Während jemand etwas erzählt, nimmst du nicht nur die Worte wahr, sondern alles drumherum: die Pausen, das Verschluckte, das, was nicht gesagt wird, die kleinen Bewegungen, der Druck in der Stimme, das Ausweichen, die Unsicherheit.

Ich kenne dieses Gefühl gut. Ich habe es mein ganzes Leben.

Ich sehe und höre ständig Zwischentöne. Nicht weil ich will – es passiert einfach. Als würde mein Inneres Informationen auf ganz vielen Ebenen gleichzeitig verarbeiten:

  • Was sagt der Mensch wirklich?
  • Was verschweigt er?
  • Was zeigt er mir ohne Worte?
  • Was bewegt ihn dahinter?
  • Wie hängt das mit größeren Themen zusammen – psychologisch, emotional, gesellschaftlich?

Das ist manchmal ein Geschenk und manchmal eine ziemliche Last.

Ich fühle mich nicht besser und nicht schlechter als andere. Nur komplizierter. Stiller. Analytischer. Und oft auch fremd – nicht in der Welt, aber in der Art, wie die Welt funktioniert.

Natürlich nicht in jedem Gespräch. Aber überall dort, wo es um etwas geht, das Bedeutung hat. Um echte Themen. Um Lebensgeschichten. Um das, was den Menschen im Kern bewegt.

Und genau aus diesem „Andersfühlen“ entsteht meine Kunst.

Warum ich manchmal lieber male als erkläre

Ich muss ehrlich sagen: Ich bin jemand, der unfassbar viel reden kann – über Gefühle, Psychologie, Gesellschaft, Kinder, Kriege, Ungerechtigkeiten, Systeme, Hoffnung, Lösungen. Ich lese unglaublich viel darüber, denke stundenlang nach, verzweige Gedanken in alle Richtungen, verknüpfe Dinge, stelle Fragen, die ich nicht immer beantworten kann.

Wenn mich ein Thema packt, könnte ich Bücher schreiben. Ich verliere mich darin – aber im guten Sinne. Und für viele Menschen ist das „zu viel“.

Nicht jeder möchte über alles so tief sprechen. Nicht jeder kann mithalten. Nicht jeder möchte an die Wurzel.

Und deshalb male ich.

Ein Bild überfordert niemanden. Es erklärt nicht. Es zwingt nicht.

Kunst hat etwas, das Worte nicht leisten können. Sie holt Menschen ab – jenseits ihrer Meinung. Sie verbindet – selbst wenn zwei Menschen völlig verschieden denken.

Wenn jemand vor einem Bild steht, wird er nicht gefragt, was er glauben oder wie er fühlen soll. Er darf einfach Mensch sein. Ganz nackt. Ganz ehrlich. Ganz bei sich.

Und das ist einer der Gründe, warum ich male: Weil ich in kürzester Zeit Dinge transportieren kann, für die ich mit Worten Stunden bräuchte – und trotzdem nicht alles sagen könnte.

Der Drang – warum manche Bilder einfach rausmüssen

Es ist schwer zu beschreiben, aber dieser Drang ist real. Manchmal wache ich auf und spüre: Es muss raus. Ein Gedanke, ein Gefühl, eine Wahrnehmung, ein Schmerz, eine Erkenntnis.

Ich weiß oft vorher nicht, ob sich das Bild verkaufen wird. Manchmal male ich etwas, von dem ich ganz genau weiß: „Wirtschaftlich ist das völlig bescheuert.“

Aber ich male es trotzdem.

Weil etwas in mir sonst kaputtgehen würde. Weil Kunst der Ort ist, an dem ich Dinge in die Welt gebe, für die ich keine Worte habe. Weil ich das Gefühl habe, dass manche Bilder nicht mir gehören, sondern entstehen wollen.

Ich male nicht für Erwartungen. Ich male, weil mein Inneres drängt. Und weil das meine Sprache ist.

Leise Bilder und was sie mir zeigen

Ich habe im Laufe der Jahre alles Mögliche gemalt: laut, klar, plakativ, dunkel, roh, symbolisch.

Aber die Bilder, die leise sprechen – die bleiben. Sie kommen immer wieder. Ungesteuert. Wie Wellen.

Sie haben etwas an sich, das ich kaum beschreiben kann: eine Spannung, die nicht schreit, eine Tiefe, die nicht drückt, eine Aura, die atmet.

Leise Bilder lassen dem Betrachter Raum. Sie zeigen nichts mit einem Pfeil. Sie sagen nicht: „Schau mal hier.“

Sie sagen: „Wenn du willst, komm näher. Und wenn du nicht willst, ist es auch okay.“

Ich liebe diese Art zu malen. Nicht weil es eine Phase wäre. Nicht weil es ein Trend ist. Sondern weil diese Stille etwas in mir berührt, das mich weiterträgt.

Das ist das Interessante: Ich habe beim Malen oft eine klare Idee, ein Thema, ein Gefühl.

Aber wenn das Bild fertig ist und ich es anschaue, spricht es manchmal etwas ganz anderes aus – oder tiefer, oder schärfer, oder weicher.

Es zeigt mir Dinge, die ich beim Malen nicht gesehen habe. Manchmal erklärt es mich mir selbst. Manchmal überrascht es mich. Manchmal tut es weh – und trotzdem richtig gut.

Das ist für mich das Magische an Kunst: Sie wird irgendwann selbstständig. Sie öffnet Türen, die ich beim Malen nicht bewusst gebaut habe. Und sieht auch mich an einer Stelle, die ich vorher nicht kannte.

Ich schreibe diesen Blog nicht, um etwas zu erklären oder rechtzufertigen. Sondern um dich – den Leser – vielleicht an einem Punkt abzuholen, den du kennst.

Vielleicht fühlst du manchmal auch mehr Ebenen gleichzeitig. Vielleicht hörst du ebenfalls Dinge, die nie ausgesprochen werden. Vielleicht überfordern dich tiefe Gespräche manchmal – oder du fühlst dich in ihnen am lebendigsten. Vielleicht kennst du dieses komplizierte, vielschichtige Wahrnehmen.

Und vielleicht findest du dich in einem meiner Bilder wieder, nicht weil du meine Geschichte kennst, sondern weil du deine eigene darin spürst.

Das ist die größte Kraft, die Kunst haben kann. Und genau deshalb male ich.